Dies Domini – Zweiter Fastensonntag, Lesjahr A
Die guten Geister sind auf der Flucht. Wieder einmal. So scheint es jedenfalls. Respekt und Toleranz scheinen mit dem viralen Verfall der guten Sitten geradezu schwindsüchtig geworden zu sein. Was gegenwärtig an Beleidigungen und Diffamierungen in sozialen Netzwerken über die logorrhoeischen Auswürfe in parlamentarischen Reden rechter Rhetoren bis hin zu eine immer mehr aus den Ufern laufenden und zur Unkultur sich entwickelnden Agitation fanatischer Stadionbesucher zu ertragen ist, beleidigt nicht nur alle, die sich redlich um ein friedvolles Miteinander einer Menschheit bemühen; sie wird auch zu einer realen Gefahr, da die Schwelle, in der aus Worten Taten werden immer mehr sinkt. Die Morde von Hanau und Halle sind keine Zufälle. In Zeiten, in denen die Welt selbst zum Dorf wird und das digitale Zeitalter analoge Entfernungen schwinden lässt, beginnen die Verständigeren zu ahnen, dass der kleine Planet Erde eine auf sehr lange Zeit gesehen alternativlose Heimat ist, die es zu bewahren und zu schützen gilt, die aber auch nicht größer wird, so dass bei einer wachsenden Zahl von Menschen ein zwangsläufiges Näherrücken unausweichlich wird. Ständige Beleidigungen, Beschimpfungen, steter Hass, grassierende Hysterie und Panik sind wohl kaum geeignetes Mittel gelassen an einer vernünftigen Basis für ein gemeinsames Leben auf dem Planeten Erde zu arbeiten, deren Bewohnbarkeit bereits jetzt schon angesichts des Klimawandels in manchen Teilen der Welt nicht mehr ohne Weiteres gewährleistet ist. Der Platz wird kleiner. Kriege tun ihr Übriges, dass Menschen ihre Heimat verlassen müssen und neue Lebensstätten suchen. Aus gepolsterten Sesseln ertönt dann die Warnung, man könne ja nicht alle aufnehmen, weil das den „Pull“-Faktor erhöhen und weitere motivieren würde, sich auf den Weg ins heimische Wohnzimmer zu machen … als wenn es keinen „Push“-Faktor geben würde, der in Form von Fassbomben oder anderen Auswüchsen kranker humanoider Vernichtungsphantasien entsprungener Höllenwerkzeuge andere Wohnzimmer unbewohnbar pulverisiert und verwüstet oder in der klimawandelbedingten Ausweitung anderer Wüsten unbewohnbare Ödnisse bewirkt, die ehemals sesshafte Menschen wieder zu Nomaden werden lässt, die durch die Welten streifen müssen, um bewohnbare Gegenden zu suchen. Getriebene brauchen niemanden, der sie zieht. Wohin will man die schieben, die durch die Umstände längst verschoben sind?
Ein Nomade steht auch im Mittelpunkt der ersten Lesung vom zweiten Fastensonntag im Lesejahr A. Es ist Abram, der später Abraham heißen wird, der hier zum Aufbruch getrieben wird:
In jenen Tagen sprach der Herr zu Abram: Zieh weg aus deinem Land, von deiner Verwandtschaft und aus deinem Vaterhaus in das Land, das ich dir zeigen werde. (Genesis 12,1)
Man erfährt wenig, eigentlich gar nichts darüber, ob es einen äußeren Anlass für den angekündigten Aufbruch gibt. Gab es eine drohende Dürre oder kriegerische Auseinandersetzungen? Immerhin erzählt das Buch Genesis im vorangehenden Kapitel vom Turmbau zu Babel, der darin zum Ausdruck kommenden menschlichen Selbstüberhebung und der daraus resultierenden Sprachverwirrung, die zur Zerstreuung der Menschheit über die ganze Erde führt. Der Auftrag zum Aufbruch selbst aber wirkt im Text unvermittelt. Allerdings scheint es so, als sei Abram ehedem sesshaft gewesen, denn er soll aus seinem Vaterhaus – eben keinem Zelt! – und seiner Verwandtschaft wegziehen. Abram soll also seine Heimat verlassen.
Das tut niemand ohne Anlass. So präsentiert die erste Lesung denn auch eine Verheißung als Anlass:
Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein. (Genesis 12,2)
Verheißungen richten den Blick nach vorn, in eine verheißungsvolle Zukunft. Sie mögen die Hoffnung stärken, Gewissheiten garantieren sie nicht. Eine gute Verheißung aber genügt, alle Kräfte zu mobilisieren, um dem verheißenen Ziel entgegenzugehen. Wie viele, die sich durch die Zeiten, getrieben von Hunger oder Krieg, ihre Heimat verlassend auf den Weg gemacht haben, haben solche Verheißungen am Leben gehalten, aufgerichtet, durchgetragen, gestärkt, durchzuhalten, sich nicht aufhalten zu lassen von Mauern, Hindernissen oder Meeren, die sich bisweilen sogar mit der Hilfe eine Gottes teilen, der nicht nur bei Abram Garant der Verheißungen ist. Gott steht auf der Seite Abrams. Der, der sich in seinem Namen auf den Weg macht, wird gerade deshalb – weil Gott mit ihm ist – zum Segen werden. Wer deshalb diesen Segen erwidert, wird selbst gesegnet werden; wer aber den so Gesegneten flucht, wird selbst verflucht werden:
Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden. (Genesis 12,3)
Worte wirken wie ein Bumerang. Der Segen kommt zurück, der Fluch aber auch. Der Wald antwortet immer so, wie man in ihn hineinruft. Jede Beleidigung findet ihren Urheber, jede Hassrede kehrt zur Autorin zurück. Jedes gute Wort ebnet der Sprecherin den Weg, jeder Segen gereicht dem so Segnenden selbst zur Ehre. Entscheide selbst, o Mensch, über deine Zukunft, die du dir so selbst verheißt. Merkt auf, ihr Schreihälse, Hassrednerinnen und Pöbler – eure eigenen Worte werde euch finden!
Abram aber zog aus, wie der HERR zu ihm gesagt hatte. (nach Genesis 12,4a)
Abram wird noch lernen müssen, dass Verheißungen ihre eigenen Regeln haben. Man kann sich seine Verheißungen nicht selbst machen. Als Abram in das verheißene Land Kanaan kommt, wird er nicht lange bleiben, sondern weiter nach Ägypten ziehen – zu vermeintlichem Wohlstand. Dort wird er seine Frau feige an den Pharao verraten, sein Schicksal selbst schmieden wollen, Niederlagen erleiden und wieder aufstehen, bis er endlich lernt, das auch Verheißungen ihre Grenzen an menschlichen Machtphantasien finden. Die große Schwester der Verheißung heißt nämlich Vertrauen. Auf Plattdeutsch sagt man dafür heute noch „geloven“. Vertrauen beruht auf Gegenseitigkeit. Ich vertraue dem, der gelobt, für das verheißene Ziel einzustehen. Das ist Glaube! – Geloben und Vertrauen auf eine Verheißung hin.
Nun stehen an den Grenzen Europas wieder Menschen, die auf eine Verheißung hoffen, für die Europa einst selbst stand: Für Menschenrechte, Menschenwürde, Freiheit, zu glauben, zu denken, zu meinen, zu leben. Ein eingemauertes und stacheldrahtbewehrtes Europa aber ist nicht mehr frei. Es tritt seine Verheißung mit Füßen. Die Worte, die derzeit fallen, werden zurückkehren. Es wird, wenn sich Europa nicht bekehrt, wohl kein Segen werden … Abram, ora pro nobis!
Dr. Werner Kleine
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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